Wie Lungenärzte dabei helfen, einfache Wahrheiten auszuatmen

Das einfache Wahrheiten nicht der richtige Weg sind, gilt nicht nur für die Debatte im Umgang mit Flüchtlingen und Migration. Auch bei der derzeit geführten Diskussion um die Belastungen unserer Städte mit Stickstoffdioxid wird versucht, mit einfachen Wahrheiten von seiner eigentlichen Bedeutung abzulenken. Vor allem geht es dabei um eine Rechtfertigung der nachträglichen, gesetzlichen Anpassung von Grenzwerten. Aber diese Grenzwerte haben Ihre Berechtigung.

Frank Stratmann
4 min readNov 19, 2018

Ärzte sind massenmedial sozialisiert und weil sie lieber auf RTL auftauchen als auf Facebook, lassen sie sich gern vor den Karren spannen. Wie jüngst bei sternTV zu beobachten war, werden Ärzte vor die Kamera gelockt, um zu bestätigen, dass eine Belastung von Stickstoffdioxid über dem derzeit gültigen Grenzwert von 40 µg/m3 keinerlei gesundheitlich einschränkende Bedeutung haben. Wichtig dabei ist es, zu wissen, dass die Grenzwerte einen Wert im Jahresmittel festlegen. Zu schützende Betroffene z.B. wohnen unmittelbar in Gegenden mit hoher Belastung und setzen sich teils jahrelang dieser Belastung aus. Viele, ohne es zu wissen. Andere tanzen vielleicht unbewusst um eine gesundheitliche Einschränkung herum und werden durch eine atypische Belastung erst krank.

Gerade eben wurde mir dieser Film zugespielt, in dem der diplomierte Nachrichtentechniker und Prof. Dr. Dieter Köhler sich auf eine angeblich stark befahrene Straße stellt und betont, dass ihm keinerlei Gefahr drohe, wenn er sich dort aufhalte. Der Beirat der Deutschen Lungenstiftung e.V. war zwischen 1986 und 2013 Ärztlicher Direktor des Fachkrankenhauses Kloster Grafschaft und kommt offenbar auch im Ruhestand nicht zur Ruhe. Grafschaft ist ein bedeutender Kurort für Lungenheilkunde im sauerländischen Schmallenberg. So stellt Herr Professor Köhler sich für Fernsehaufnahmen auf die wenige Kilometer von seinem ehemaligen Arbeitsort entfernte Kreuzung in Schmallenberg-Gleidorf und beweist damit angeblich die Ungefährlichkeit der dort herrschenden Stickstoffdioxidbelastung. Im Beitrag (siehe Video) spricht er dann auch nicht von langjährigen Belastungsszenarien, sondern von zu niedrigen Werten, die zu keinem einzigen Todesfall in Europa führen.

Um den Kritikern entgegen zu eilen. Ich stelle die Verdienste und die Exzellenz des Mediziners nicht in Frage. Die Stellungnahme des Umweltbundesamts allerdings spricht zum Grenzwert von 40 µg/m3 eine andere Sprache.

Es geht um das Jahresmittel

Wie das Umwelt Bundesamt bereits am 20.02.2018 erklärt hat, kommt es zu den Grenzwerten, weil sich im öffentlichen Raum (z.B. im Straßenverkehr, an Kreuzungen und in Städten überhaupt) auch die Menschen aufhalten, die wahlweise vorbelastet sind oder an einer Krankheit leiden, die das Atmen einschränken oder die Lunge betreffen. Asthmatiker gehören beispielsweise dazu.

Für Dieter Nuhr ist aktuell Stickstoffdioxid das Panikgas der Wahl. Jüngst lästerte er auf WDR2 darüber. Doch wie so oft gilt auch hier. Die einfachen Wahrheiten werden es nicht richten.

So wird sicherlich zurecht bemerkt, dass an Arbeitsplätzen die Belastung mit Stickstoffdioxid um ein vielfaches überschritten wird. Das beginnt schon im ganz normalen Büro. Doch wer will es den Menschen verübeln, die einen Zusammenhang erkennen wollen, wenn sie beispielsweise am Stuttgarter Neckartor wohnen und dort die Belastung egal mit welchem Gas stetig steigt. Wer so häufig wie ich am Neckartor seine Mittagspausen verbringen durfte oder auf dem Weg zum Bahnhof ein paar unbedachte Schritte in Richtung Schlossgarten unternahm, ist nicht betroffen. Aber der gesunde Menschenverstand sagt mir, dass es dort keine Idylle gibt für Menschen, die bereits an einer Erkrankung leiden. Dort wohnen? Nein Danke. Viele Anwohner, die nicht einfach die Wahl haben, bleiben dieser Entwicklung ausgesetzt.

Stickstoffdioxid ist kein Messer

Was mich ärgert. Im Film von sternTV kommt auch Prof. Dr. med. Martin Hetzel zu Wort. Er bestätigt, keine Todesfälle in seinem Krankenhaus wegen einer zu hohen Stickstoffdioxid Belastung zu beobachten. Auch der Vergleich mit einer gerauchten Zigarette hinkt. Selbst wer seine Zigaretten trotz Lungenkrankheit nicht zur Seite legen mag. Für den öffentlichen Raum gilt für mich, dass wir die Dinge nicht schöner reden sollten, als sie sind.

So zitiere ich das Umweltbundesamt aus dem oben verlinkten Beitrag:

Der Erkenntnisstand zu den Langzeitfolgen von NO2 wurde in der Folge im Rahmen des WHO-Projektes ‚Health risks of air pollution in Europe‘ (HRAPIE) erweitert (WHO 2013b; Heroux et al. 2015). Die WHO-Gremien zogen dazu aktuelle Bevölkerungsstudien aus Europa heran, die den Zusammenhang zwischen der Mortalität von Erwachsenen in einem Konzentrationsbereich von NO2 unter 40 µg/m3 im Jahresmittel untersuchten. Sie kamen zu dem Schluss, dass gesundheitsrelevante Wirkungen von NO2 ab einer langfristigen durchschnittlichen Exposition von 20 µg/m3 kalkuliert werden müssen.

Die gesetzliche Anpassung von Grenzwerten, weil sie gerade nicht in den Kram passen in Verbindung mit den Vereinfachungen der Wahrheiten, wie sie aktuell von Medien in Zusammenarbeit mit Ärzten betrieben wird, halte ich für gefährlich bis demokratiefeindlich.

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Frank Stratmann
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Written by Frank Stratmann

… bietet die Verknüpfung gesellschaftlicher Trends mit zukunftsorientierten Entscheidungen für alle professionell am Gesundheitsgeschehen Beteiligten.

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